
Ist das ERP-Systemmodell überholt? Eine kritische Analyse der Transformation
Benedict Breitenbach
Mon Sep 29 2025

Inhaltsverzeichnis
ERP-Systeme – kurz für „Enterprise Resource Planning“ – sind das Rückgrat vieler Unternehmen. Ob Buchhaltung, Lagerhaltung, Personalwesen oder Vertrieb: Integrierte ERP-Lösungen bilden zentrale Geschäftsprozesse ab und helfen dabei, Daten, Ressourcen und Abläufe effizient zu steuern. Über Jahrzehnte hinweg galten ERP-Systeme als alternativlos, wenn es darum ging, Unternehmensprozesse digital abzubilden und zu automatisieren.
Doch die Welt hat sich verändert. Digitalisierung, neue Technologien und sich wandelnde Geschäftsanforderungen stellen etablierte IT-Infrastrukturen zunehmend infrage.
Vor diesem Hintergrund stellt sich eine provokante, aber berechtigte Frage: Läuft das Geschäftsmodell ERP-System aus? Oder erfinden sich ERP-Anbieter gerade neu? In diesem Blogbeitrag werfen wir einen kritischen Blick auf die Geschichte, Gegenwart und Zukunft von ERP-Systemen und analysieren, ob es sich dabei um ein auslaufendes Modell handelt.
Das klassische ERP-Modell
Unbestritten ist, dass ERP-Software den Markt nachhaltig geprägt hat – viele Unternehmen werden daher auch künftig an ihren einst kostenintensiv eingeführten Systemen festhalten, um ein ausgewogenes Verhältnis von Nutzen und Aufwand zu wahren. Ein Blick auf die deutsche Unternehmenslandschaft im Jahr 2023 zeigt dies exemplarisch: Der Grossteil der Betriebe setzt auf ERP-Lösungen.

Die von Unternehmen eingesetzten Lösungen basieren häufig auf umfassenden Systemarchitekturen, die Arbeitsprogramme, Archivfunktionen und weitere Komponenten in einer Plattform vereinen. Ein zentrales Problem besteht darin, dass solche Systeme oft wartungsintensiv sowie kostspielig in Anschaffung und Betrieb sind.
Zudem gestalten sich zukünftige Integrationen neuer Technologien – etwa von KI-Modulen – meist nur mit erheblichem Ressourcenaufwand umsetzbar.
Laut einer Marktanalyse von Software Connect (2023) hält Microsoft mit 31,5 % den grössten Anteil am globalen ERP-Markt, gefolgt von SAP mit 11,8 %. Oracle zählt ebenfalls zu den führenden Anbietern.
Das könnte sich mit den wandelnden Kundenanforderungen allerdings rasch ändern.
Veränderungen im technologischen und wirtschaftlichen Umfeld
Einflussfaktor | Beschreibung | Auswirkung auf Unternehmenssoftware |
---|---|---|
Technologische & wirtschaftliche Veränderungen | Zunehmende Dynamik, Unsicherheit, Digitalisierung | Klassisches ERP-Modell gerät unter Druck |
Cloud-Technologie | Flexible, skalierbare und kostentransparente Anwendungen ersetzen starre On-Premise-Lösungen | Schnellere Updates, höhere Agilität, reduzierte Betriebskosten |
Wirtschaftliche Unsicherheiten | Lieferkettenprobleme, Inflation, geopolitische Krisen | Bedarf an reaktionsschnellen, resilienten IT-Strukturen |
Geänderte Nutzererwartungen | Intuitive Bedienung, mobile Verfügbarkeit, Self-Service | Fokus auf UX, Mobilität, niedrigere Einstiegshürden für neue Anbieter |
Modulare Systemarchitekturen | APIs, Microservices, Plattform-Ökosysteme statt monolithischer Komplettlösungen | Höhere Integrationsfähigkeit, mehr Flexibilität, aber auch mehr Komplexität |
Herausforderungen klassischer ERP-Systeme zusammengefasst
Herausforderung | Betroffener Bereich | Auswirkungen für Anbieter & Kunden |
---|---|---|
Komplexe, gewachsene Systemlandschaften | IT-Architektur / Migration | Hoher Aufwand bei Modernisierung; schwer skalier- und transformierbar |
Legacy-Systeme mit starker Individualisierung | Betrieb / Upgrades | Geringe Standardisierbarkeit; hohe Kosten für Wartung und Anpassung |
Umstellung auf SaaS-Modelle | Geschäftsmodell / Monetarisierung | Wegfall klassischer Lizenzmodelle; Umdenken bei Kundenbindung und Produktentwicklung |
Wandel zu Subskriptionspreisen | Vertrieb / Finanzplanung | Schwankende Einnahmeströme; neue Metriken zur Bewertung von Erfolg |
Innovationsdruck durch cloud-native Wettbewerber | Produktentwicklung / Marktdynamik | Höherer Release-Druck; Gefahr, technologisch abgehängt zu werden |
Geringere Agilität im Vergleich zu neuen Anbietern | Time-to-Market / Reaktionsfähigkeit | Langsamere Feature-Auslieferung; geringere Wettbewerbsfähigkeit |
Strategisches Spagat: Alt-Systempflege vs. Innovation | Unternehmensstrategie / Ressourcenallokation | Ressourcen werden zwischen Bestandssystemen und Zukunftsthemen aufgerieben |
Unternehmen, die aus ökonomischen Gründen auf die Einführung moderner ERP-Systeme verzichten, sollten in ihre Kalkulation auch potenzielle Umsatzeinbussen einbeziehen – insbesondere dann, wenn Wettbewerber durch den Einsatz fortschrittlicher Systeme Effizienzvorteile erzielen.
Aufstrebende ERP-Anbieter
Zwar sorgen neue, spezialisierte Anbieter für frischen Wind im ERP-Markt – doch die grossen Namen sind keineswegs abgeschrieben. Im Gegenteil: Anbieter wie Microsoft, SAP und Oracle zählen auch heute zu den führenden Akteuren. Entscheidend ist jedoch: Ihr aktueller Erfolg basiert nicht mehr auf den klassischen ERP-Modellen, sondern auf einer konsequenten strategischen Neuausrichtung.

Microsoft positioniert sich mit Dynamics 365 als vollständig cloudbasiertes System, das sich nahtlos in bestehende IT-Landschaften integriert – insbesondere durch die enge Verzahnung mit Azure und Microsoft 365. SAP treibt mit „RISE with SAP“ und der Cloud-Version von S/4HANA aktiv die Transformation traditioneller Systemlandschaften voran. Oracle setzt mit Fusion Cloud ERP auf eine Plattform, die durch Automatisierung, künstliche Intelligenz und branchenspezifische Services überzeugt.
Ein weiterer Erfolgsfaktor: Die etablierten Anbieter agieren zunehmend wie Start-ups. Sie gründen eigenständige Tochterfirmen, akquirieren innovative Anbieter oder entwickeln gezielt neue Produktlinien, die auf die Anforderungen von mittelständischen Unternehmen und digital geprägten Branchen zugeschnitten sind. So entstehen agile, modulare Lösungen – unter dem Dach erfahrener Technologiekonzerne.
Läuft das Geschäftsmodell ERP-System also aus? Nein – aber es verändert sich grundlegend. Klassische, monolithische Systeme verlieren an Relevanz, weil Unternehmen zunehmend flexible, modulare und cloudbasierte Lösungen benötigen. Nicht ERP an sich läuft aus, sondern die alten Modelle.
ERP entwickelt sich weiter: als offene, integrierbare Plattform mit modernen Technologien wie Automatisierung und KI. Wer rechtzeitig umdenkt und bestehende Systeme modernisiert, kann von dieser Entwicklung profitieren. ERP verschwindet nicht – es wird neu gedacht.
