
Internet of Behavior erklärt: Chancen, Risiken und Einsatzgebiete
Benedict Breitenbach
Mon May 19 2025

Inhaltsverzeichnis
In vielen Haushalten sind smarte Geräte längst Alltag: Fitnessarmbänder zeichnen unsere Bewegungen auf, intelligente Thermostate passen die Raumtemperatur an unser Verhalten an, und smarte Sprachassistenten reagieren auf unsere Routinen. Diese Technologien erfassen nicht nur Daten – sie liefern auch wertvolle Einblicke in unsere täglichen Gewohnheiten.
Das Konzept des Internet of Behavior (IoB) beschreibt genau diesen nächsten Schritt: Die systematische Auswertung von Verhaltensdaten, um menschliches Verhalten zu analysieren, vorherzusagen und gezielt zu beeinflussen. Aufbauend auf der technischen Grundlage des Internet of Things (IoT) verbindet das IoB vernetzte Geräte mit psychologischen Erkenntnissen, um daraus neue, datenbasierte Verhaltensmuster zu entwerfen.
Ursprung und Hintergrund des Internet of Behavior
Von Daten zu Verhalten: Die Entstehung des IoB
Das Internet of Behavior (IoB) ist eine Weiterentwicklung des bekannten Internet of Things (IoT). Während das IoT physische Geräte wie Smartphones, Smartwatches, Thermostate oder vernetzte Fahrzeuge miteinander vernetzt, zielt das IoB darauf ab, die durch diese Geräte erzeugten Daten mit verhaltenswissenschaftlichem Wissen zu verknüpfen. Ziel ist es, das Verhalten von Nutzerinnen und Nutzern zu verstehen, vorherzusagen und in bestimmten Fällen gezielt zu beeinflussen.
Begriff und Verbreitung
Der Begriff „Internet of Behavior“ wurde erstmals 2020 von der Analystenfirma Gartner in die Technologietrendliste aufgenommen. Gartner beschrieb das IoB als einen bedeutenden Zukunftstrend, der digitale Technologien mit Datenanalyse und Psychologie kombiniert, um Verhaltensmuster zu identifizieren. In der Praxis bedeutet das: IoB ist überall dort im Einsatz, wo technologische Systeme nicht nur Daten über was jemand tut erfassen, sondern auch versuchen, warum jemand etwas tut – und wie dieses Verhalten beeinflusst werden kann.
Wissenschaftliche Wurzeln: Behavioral Science
Das Fundament des IoB liegt in der Verhaltenswissenschaft. Bereits der US-Psychologe B.F. Skinner untersuchte im 20. Jahrhundert, wie sich menschliches Verhalten durch gezielte Reize steuern lässt. Diese Ansätze – später auch bekannt als Behaviorismus – legten die Grundlage für moderne Konzepte wie das Nudging: das sanfte Anstossen von Entscheidungen durch subtile Veränderungen im Umfeld oder in der Informationsdarstellung.
Mit der zunehmenden Digitalisierung und der Verfügbarkeit riesiger Datenmengen entstand die Möglichkeit, diese Prinzipien in grossem Massstab technisch umzusetzen.
Technologische Wegbereiter
Mehrere Entwicklungen haben den Weg für das IoB geebnet:
Big Data & Cloud Computing: ermöglichen die Verarbeitung und Analyse grosser Verhaltensdatensätze.
Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning: identifizieren Muster in den Daten und erstellen Verhaltenstypologien.
Sensorik und Wearables: liefern kontinuierlich Daten über Bewegung, Puls, Schlaf, Standort u.v.m.
Digitale Plattformen (z. B. Google, Amazon, Meta): nutzen diese Daten zur Personalisierung und zur Verhaltenssteuerung im Marketing.
Wie funktioniert das Internet of Behavior?
Das Internet of Behavior stützt sich auf eine Vielzahl technischer und psychologischer Prozesse, die gemeinsam das Ziel verfolgen, menschliches Verhalten zu erfassen, zu analysieren und darauf zu reagieren. Am Anfang dieses Prozesses steht die Erhebung von Daten – und zwar in einem Ausmass, das in den letzten Jahren durch die Verbreitung vernetzter Geräte rasant zugenommen hat. Wearables wie Fitnessarmbänder oder Smartwatches messen Aktivität, Schlafverhalten und Herzfrequenz. Smarte Thermostate und Lichtsysteme erfassen, wann wir zu Hause sind und wie wir unsere Umgebung gestalten. Auch Smartphones liefern durch Standortverfolgung und Online-Interaktionen auf Apps wie Google Maps, Strava oder Apple Health, einen stetigen Strom an Informationen über unsere Vorlieben und Routinen. Hinzu kommen Daten aus sozialen Netzwerken, Online-Shops oder digitalen Assistenten, die unser Verhalten in digitalen Räumen dokumentieren.
Diese riesigen Datenmengen werden in einem zweiten Schritt analysiert. Mithilfe von Big-Data-Technologien und Künstlicher Intelligenz lassen sich Muster erkennen, die für das menschliche Auge kaum sichtbar wären. Die Systeme lernen etwa, dass bestimmte Nutzer bei schlechtem Schlaf eher zu ungesunden Essgewohnheiten neigen oder dass sich das Bewegungsverhalten stark mit der Aussentemperatur verändert. Neben statistischen Verfahren kommen zunehmend psychologische Modelle zum Einsatz, wie das Fogg Behavior Model, das Verhalten als Ergebnis von Motivation, Fähigkeit und einem auslösenden Reiz erklärt. Damit rückt nicht nur das Was, sondern vor allem das Warum menschlicher Entscheidungen in den Fokus.

Anwendungsbereiche des IoB
Das Internet of Behavior findet bereits heute in einer Vielzahl von Bereichen Anwendung – oft ohne dass Nutzerinnen und Nutzer es bewusst wahrnehmen. Besonders im Marketing hat sich das Konzept als leistungsfähiges Instrument etabliert. Unternehmen analysieren detailliert, welche Produkte wann und wie häufig angesehen, in den Warenkorb gelegt oder wieder entfernt werden. In Kombination mit demografischen Daten, Verhaltensmustern und emotionalen Reaktionen können so individuelle Angebote erstellt werden, die genau zum richtigen Zeitpunkt erscheinen – etwa in Form personalisierter Rabatte oder gezielter Produktempfehlungen. Das Ziel: eine höhere Abschlusswahrscheinlichkeit durch passgenaue Ansprache.
Ein weiteres stark wachsendes Einsatzfeld liegt im Gesundheitsbereich. Wearables ,wie die AppleWatch oder der Garmin, in Verbinung mit Gesundheits-Apps, wie Health, erfassen Vitaldaten, Aktivitätslevel und Schlafverhalten, um daraus individuelle Empfehlungen abzuleiten – sei es zur Bewegung, zur Ernährung oder zur Stressreduktion. In der Medizin werden diese Daten zunehmend in Präventionsprogramme integriert, etwa zur frühzeitigen Erkennung von chronischen Erkrankungen oder zur Unterstützung von Verhaltensinterventionen bei Diabetes oder Depressionen. Auch Versicherungen beginnen, gesundheitsförderliches Verhalten durch digitale Boni-Systeme zu belohnen – ein Trend, der sowohl Chancen als auch Diskussionsstoff bietet.
Im Bereich der Smart Cities spielt das IoB ebenfalls eine bedeutende Rolle. Städte nutzen Verhaltensdaten zur Optimierung von Verkehrsflüssen, zur Steuerung von Energieverbrauch oder zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit. Sensoren an Strassenlaternen, Ampeln oder öffentlichen Verkehrsmitteln sammeln kontinuierlich Informationen über das Verhalten von Menschen im städtischen Raum – etwa wann und wo sich Menschenansammlungen bilden oder wie sich Bewegungsmuster zu bestimmten Tageszeiten verändern. Diese Informationen fliessen in automatisierte Entscheidungsprozesse ein, die z. B. Ampelphasen dynamisch anpassen oder Reinigungsrouten von Müllfahrzeugen effizienter gestalten.
Auch in der Arbeitswelt wird das Internet of Behavior zunehmend eingesetzt. Unternehmen analysieren beispielsweise Kommunikationsmuster, Kalendernutzung oder Pausenverhalten, um Rückschlüsse auf Produktivität, Teamdynamik oder Belastung zu ziehen. In manchen Fällen werden diese Informationen genutzt, um Arbeitsprozesse zu optimieren oder das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu fördern – in anderen Fällen stossen solche Massnahmen jedoch auf Kritik, etwa wenn sie als Kontrolle oder Eingriff in die Privatsphäre empfunden werden.
Diese Beispiele zeigen: Das IoB durchdringt unterschiedlichste Lebensbereiche – von der Freizeit über die Gesundheit bis hin zur Arbeit und dem öffentlichen Raum.
Kritik und Herausforderungen des Internet of Behavior
Obwohl das Internet of Behavior (IoB) zahlreiche Potenziale bietet, wirft es erhebliche Bedenken hinsichtlich Datenschutz, Ethik und gesellschaftlicher Auswirkungen auf.
Ein zentrales Anliegen ist der Datenschutz. IoB-Technologien sammeln und analysieren umfangreiche persönliche Daten – von Standortinformationen über Gesundheits- und Aktivitätsdaten bis hin zu emotionalen Reaktionen und Entscheidungsverhalten. Diese Daten können ohne ausreichende Transparenz oder Zustimmung der Nutzer verwendet werden, was das Risiko von Datenschutzverletzungen und unbefugter Überwachung deutlich erhöht (itwelt.at). Darüber hinaus spielt auch der physische Speicherort der Daten eine wichtige Rolle. Nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ist nicht nur die Datennutzung, sondern auch der Speicherort entscheidend: Daten, die ausserhalb der EU gespeichert werden – etwa auf US-amerikanischen Servern – unterliegen häufig anderen gesetzlichen Rahmenbedingungen, was zu einer Schwächung des europäischen Datenschutzes führen kann.
Ethische Bedenken betreffen zudem die gezielte Manipulation von Verhalten. Durch die präzise Analyse von Verhaltensdaten können Unternehmen und Organisationen subtile Anreize setzen, die das Verhalten von Menschen beeinflussen – etwa durch personalisierte Werbung oder algorithmisch gesteuerte Nutzererlebnisse. Diese Eingriffe geschehen oft unbemerkt und werfen Fragen nach Autonomie, Transparenz und informierter Zustimmung auf (adyard.de).
Ein besonders kritischer Punkt ist die potenzielle Diskriminierung durch algorithmische Entscheidungen. Wenn IoB-Systeme auf voreingenommenen oder unvollständigen Daten basieren, können sie gesellschaftliche Vorurteile nicht nur reproduzieren, sondern sogar verstärken. Ein prominentes Beispiel dafür ist das COMPAS-System in den USA, das in mehreren Bundesstaaten eingesetzt wurde, um die Rückfallwahrscheinlichkeit von Straftätern zu berechnen. Studien zeigten, dass das System schwarze Angeklagte systematisch als risikoreicher einstufte als weisse, obwohl die tatsächliche Rückfallquote vergleichbar war – ein klarer Beleg für algorithmisch verstärkte Diskriminierung.
Hinzu kommen psychologische Belastungen, die durch das Gefühl permanenter Überwachung entstehen. Eine Studie in diesem Zusammenhang erklärt: Menschen, die sich ständig beobachtet fühlen, berichten häufiger von Stress, Verunsicherung und einem eingeschränkten Gefühl persönlicher Freiheit – was sich negativ auf das allgemeine Wohlbefinden auswirken kann.
Schliesslich besteht auch ein regulatorisches Defizit: Zwar existieren in Europa mit der DSGVO klare Regeln für den Umgang mit personenbezogenen Daten, doch in vielen Regionen fehlen vergleichbare Schutzmechanismen. Gleichzeitig hinken Gesetzgebungen der technologischen Entwicklung oft hinterher, was sowohl Unternehmen als auch Nutzern rechtliche Unsicherheit beschert.
Diese Herausforderungen verdeutlichen die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen und transparenten Umgangs mit IoB-Technologien. Es braucht klare ethische Standards, internationale gesetzliche Regelungen und vor allem eine bewusste Auseinandersetzung mit den Grenzen datenbasierter Beeinflussung.
Zukunftsperspektiven des Internet of Behavior
Das Internet of Behavior (IoB) steht an der Schwelle zu einer neuen Ära, in der die Verschmelzung von Technologie, Verhaltenswissenschaft und Datenanalyse unser tägliches Leben tiefgreifend beeinflussen wird.
Ein bedeutender Wachstumstreiber ist die zunehmende Verbreitung von IoT-Geräten. Laut einer Prognose von Global Market Insights wird der IoB-Markt bis 2032 voraussichtlich eine jährliche Wachstumsrate von über 23 % verzeichnen und ein Volumen von rund 1,5 Billionen US-Dollar erreichen.
In der Gesundheitsbranche ermöglichen IoB-Technologien eine präzisere Überwachung von Patienten und die Entwicklung personalisierter Therapieansätze. Durch die Analyse von Verhaltensdaten können Frühwarnsysteme für chronische Erkrankungen verbessert und individuelle Gesundheitspläne erstellt werden.
Im Bildungssektor bieten IoB-Anwendungen die Möglichkeit, Lernprozesse individuell anzupassen. Durch die Analyse von Interaktionsmustern und Lernverhalten können Lehrmethoden optimiert und auf die Bedürfnisse einzelner Schüler zugeschnitten werden.
Auch im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Stadtplanung eröffnen sich neue Möglichkeiten. Durch die Auswertung von Bewegungs- und Verhaltensdaten können Verkehrsflüsse optimiert, Ressourcen effizienter eingesetzt und Sicherheitsmassnahmen gezielter umgesetzt werden.
Allerdings werfen diese Entwicklungen auch Fragen hinsichtlich Datenschutz und ethischer Verantwortung auf. Es ist entscheidend, dass der Einsatz von IoB-Technologien transparent gestaltet und durch klare gesetzliche Rahmenbedingungen begleitet wird, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewährleisten.
Insgesamt bietet das Internet of Behavior enorme Potenziale zur Verbesserung verschiedenster Lebensbereiche. Der verantwortungsvolle und ethisch fundierte Einsatz dieser Technologien wird entscheidend dafür sein, ob die Chancen des IoB voll ausgeschöpft werden können.
Integration mit Verantwortung: Den digitalen Fussabdruck bewusst gestalten
Das Internet of Behavior (IoB) bietet zahlreiche Möglichkeiten, unser Verhalten zu analysieren und darauf basierend Dienstleistungen zu optimieren. Doch mit diesen Chancen gehen auch Herausforderungen einher, insbesondere im Hinblick auf Datenschutz und individuelle Autonomie.
Ein zentrales Anliegen ist der digitale Fussabdruck, den jeder von uns hinterlässt. Jede Online-Aktivität – sei es das Surfen im Internet, die Nutzung von Apps oder das Teilen von Inhalten in sozialen Netzwerken – trägt dazu bei. Dieser digitale Fussabdruck kann von Unternehmen genutzt werden, um Verhaltensmuster zu erkennen und gezielte Angebote zu erstellen. Doch ohne transparente Informationen und Kontrollmöglichkeiten für die Nutzer besteht die Gefahr, dass persönliche Daten ohne ausreichende Zustimmung verwendet werden.
Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU stellt einen wichtigen rechtlichen Rahmen dar, der den Schutz personenbezogener Daten gewährleisten soll. Allerdings gibt es in der praktischen Umsetzung noch Defizite, insbesondere wenn es um die Speicherung von Daten ausserhalb der EU geht. Daten, die auf Servern in Ländern mit weniger strengen Datenschutzgesetzen gespeichert werden, könnten einem geringeren Schutz unterliegen.
Um den eigenen digitalen Fussabdruck zu kontrollieren und die Vorteile des IoB verantwortungsvoll zu nutzen, können folgende Massnahmen hilfreich sein:
Einstellungen prüfen: Regelmässige Überprüfung und Anpassung der Datenschutz- und Sicherheitseinstellungen auf Geräten und in Apps.
Bewusste Nutzung: Kritisches Hinterfragen, welche Informationen online geteilt werden und welche Dienste wirklich notwendig sind.
Tools zur Überprüfung nutzen: Es gibt verschiedene Online-Tools, mit denen man den eigenen digitalen Fussabdruck analysieren kann. Beispielsweise bietet Digital Footprint Check einen kostenlosen Online-Checker an, um einen Überblick über die eigene digitale Präsenz zu erhalten. Auch Mine ermöglicht es, persönliche Daten zu identifizieren und Löschanfragen an Unternehmen zu senden.
Datenlecks überprüfen: Mit Diensten wie Have I Been Pwned oder dem Leak Checker der Universität Bonn kann überprüft werden, ob persönliche Daten in bekannten Datenlecks auftauchen.
Ein bewusster Umgang mit dem eigenen digitalen Fussabdruck ist entscheidend, um die Kontrolle über persönliche Daten zu behalten und die Vorteile des IoB zu nutzen, ohne dabei die eigene Privatsphäre zu gefährden.
Nimm dir heute 10 Minuten Zeit und überprüfe die Datenschutzeinstellungen auf deinem Smartphone oder deinem Google-Konto. Lösche unnötige Berechtigungen und aktiviere nur das, was du wirklich brauchst. So schützt du deine Daten – und nutzt die Vorteile des IoB auf deine Weise.
