
Mit KI zur Circular Economy: Wie Algorithmen helfen können, nachhaltiger zu wirtschaften
Benedict Breitenbach
Sat May 31 2025

Inhaltsverzeichnis
Samstags ist bei mir Recycling-Tag. Dann fahre ich mit meinem Müll – fein säuberlich sortiert in etwa zehn verschiedenen Kategorien – zum lokalen Wertstoffhof. Einen gelben Sack gibt es bei uns seit 2018 nicht mehr. Stattdessen wird Kunststoffmüll differenziert: Folie, Hartplastik, Joghurtbecher – alles kommt in eigene Container. Allerdings ist das nicht überall so. Oft scheitert Recycling am Mehraufwand für jeden Einzelnen und auch die Industrie.
Zwar ist Recycling, Wiederverwertung und Ressourceneffizienz in der Schweiz, Deutschland und Österreich längst kein Nischenthema mehr, denn viele Unternehmen und Städte arbeiten heute aktiv daran, Materialkreisläufe zu schließen und Abfall zu minimieren. Doch trotz aller Bemühungen bleibt die Bilanz ernüchternd: Nur ein Bruchteil der eingesetzten Rohstoffe wird tatsächlich wiederverwendet. Die Kreislaufwirtschaft ist auf dem Vormarsch – aber sie stößt in der Praxis immer wieder an operative, technologische und wirtschaftliche Grenzen.
Genau hier setzt Künstliche Intelligenz an. Ob bei der präziseren Sortierung von Wertstoffen, der vorausschauenden Wartung technischer Anlagen oder der datenbasierten Entwicklung langlebigerer Produkte: KI eröffnet neue Wege, um Materialströme intelligenter zu steuern und Prozesse nachhaltiger zu gestalten. Sie verspricht nicht nur Effizienzgewinne, sondern auch völlig neue Denkweisen im Umgang mit Ressourcen.
In diesem Beitrag schauen wir uns an, wie KI konkret zur Umsetzung zirkulärer Prinzipien beitragen kann – und wo ihre Potenziale in der Praxis bereits heute sichtbar werden.
Was ist Kreislaufwirtschaft – und warum reicht Recycling allein nicht aus?
Die Kreislaufwirtschaft (engl. Circular Economy) verfolgt ein klares Ziel: Produkte, Materialien und Ressourcen so lange wie möglich im Umlauf zu halten – und Abfall sowie Umweltbelastungen systematisch zu reduzieren. Anders als in der klassischen Linearwirtschaft, bei der der Produktlebenszyklus mit der Entsorgung endet, geht es in der Kreislaufwirtschaft darum, den Lebenszyklus immer wieder zu verlängern – durch Wiederverwendung, Reparatur, Refurbishment, Remanufacturing und schließlich Recycling.
Zentral ist dabei nicht nur das Ende eines Produktlebens, sondern bereits sein Anfang: Produkte sollen so designt, produziert und genutzt werden, dass sie zirkulär gedacht sind – also demontierbar, ressourcenschonend, langlebig und reparierbar. Damit wird die Kreislaufwirtschaft auch zu einer Gestaltungsfrage: von Geschäftsmodellen, von Infrastruktur und zunehmend auch von Daten.
Zwar wird weltweit bereits recycelt – etwa Metalle, Glas oder Kunststoffe –, doch laut dem Circularity Gap Report liegt der Anteil tatsächlich zirkulierter Ressourcen am globalen Verbrauch aktuell bei gerade einmal etwa 7 Prozent. Der Großteil des wirtschaftlichen Handelns folgt nach wie vor dem linearen Prinzip: take – make – waste. Selbst gut gemeinte Recyclingprozesse sind häufig ineffizient, energieintensiv oder durch Materialverluste begrenzt.
Was fehlt, ist Systemintelligenz: die Fähigkeit, komplexe Stoffströme, Nutzungsmuster und Produktlebenszyklen ganzheitlich zu verstehen und zu steuern. Genau hier kommt Künstliche Intelligenz ins Spiel – nicht als Ersatz für zirkuläres Denken, sondern als dessen digitaler Verstärker.

KI trifft auf Kreislaufwirtschaft – Wo Algorithmen Ressourcen retten
Künstliche Intelligenz ist längst mehr als ein Hype: In der Kreislaufwirtschaft übernimmt sie zunehmend operative, diagnostische und strategische Funktionen. Ob Bilderkennung in Sortieranlagen, Zustandsanalysen bei Maschinen oder die Optimierung von Materialkreisläufen – KI ermöglicht es, komplexe Stoffströme besser zu analysieren, zu steuern und letztlich zu schließen.
Hier vier zentrale Einsatzfelder, in denen KI heute bereits zur Ressourcenschonung beiträgt:
Smarte Sortierung: Müll wird zur Datenquelle
Eines der größten Hindernisse für hochwertiges Recycling ist nach wie vor die komplexe und unzureichende Trennung von Abfallfraktionen. Wertvolle Materialien gehen verloren, weil sie nicht richtig erkannt oder getrennt werden – und das trotz guter Vorsortierung. Klassische Sortieranlagen stoßen hier an physikalische und ökonomische Grenzen.
Künstliche Intelligenz bietet einen neuen Ansatz: Mit Hilfe von Computer Vision und maschinellem Lernen erkennen führende Systeme, wie die von AMP Robotics oder ZenRobotics, verschiedenste Materialien in Echtzeit – darunter Kunststoffe, Metalle, Papier, Folien oder sogar Markenlogos. Roboterarme sortieren diese präzise und vollautomatisch auf Förderbändern – rund um die Uhr, ohne Ermüdung.
AMP Robotics erreicht mit seinen Sortierrobotern bis zu 80 Picks pro Minute – mehr als doppelt so viel wie ein durchschnittlicher Mensch mit etwa 30 bis 40 Handgriffen pro Minute.
Auch der Fast Picker 4.0 von ZenRobotics bewegt sich in diesem Bereich – bei gleichbleibend hoher Trennqualität.
Besonders beeindruckend: Die neuen „Heavy Picker“-Systeme von ZenRobotics steigern die Sortiereffizienz um 60 bis 100 Prozent im Vergleich zu früheren Generationen, vor allem durch den Einsatz separater KI-Einheiten pro Roboterarm (ZenBrain).
Predictive Maintenance: Lebenszyklen verlängern
Ein weiteres Versprechen der Kreislaufwirtschaft ist die Verlängerung der Nutzungsdauer von Produkten und Maschinen. Doch dafür müssen Hersteller und Betreiber frühzeitig wissen, wann Komponenten ausfallen, wo sich Verschleiß ankündigt – und wie man reparieren kann, bevor defekte Teile größeren Schaden anrichten.
Mit Hilfe von maschinellem Lernen und Sensorik lassen sich heute Maschinen, Fahrzeuge oder Geräte in Echtzeit überwachen. KI-Modelle erkennen Anomalien, prognostizieren Ausfälle und helfen, Wartung effizient zu planen. Das Ergebnis: weniger Ausfallzeiten, längere Lebenszyklen, geringere Materialverluste – also ein konkreter Beitrag zur Ressourcenschonung. (Case Study Frauenhofer Institut)
Design mit Daten: Produkte zirkulär denken
Die größte Wirkung entfaltet die Kreislaufwirtschaft nicht am Ende des Lebenszyklus, sondern ganz am Anfang: beim Design von Produkten. Hier entscheidet sich, ob ein Gerät modular, reparierbar oder recyclingfähig ist. Doch was früher auf Intuition oder Erfahrung beruhte, lässt sich heute datenbasiert simulieren und optimieren.
KI-gestützte Digital Twins – also digitale Zwillinge von Produkten oder Materialien – ermöglichen es, schon in der Entwicklung verschiedene Nutzungsszenarien durchzuspielen: Wie wirkt sich ein anderer Werkstoff auf die Haltbarkeit aus? Wie verändert ein neues Bauteil die Reparaturfähigkeit? Start-ups wie nPlan oder Forschungsinstitute wie das Fraunhofer IAO arbeiten an solchen Ansätzen, die Design und Zirkularität intelligent verknüpfen.
Transparenz in der Lieferkette: Rückverfolgbarkeit neu gedacht
Eine der größten Herausforderungen für zirkuläres Wirtschaften ist der mangelnde Überblick über komplexe, globale Lieferketten. Woher stammen Materialien? Unter welchen Bedingungen wurden sie verarbeitet? Was passiert am Ende ihres Lebens?
Hier kann KI – insbesondere in Verbindung mit Blockchain-Technologie – für dringend benötigte Transparenz sorgen. Durch automatisierte Analyse großer Lieferkettendaten lassen sich Materialien nicht nur rückverfolgen, sondern auch hinsichtlich ihrer Umweltwirkung bewerten. Projekte wie Circularise kombinieren diese Technologien, um etwa Kunststoffherkunft und Rezyklatgehalt fälschungssicher zu dokumentieren.
Auch Lösungen wie OriginStamp, die manipulationssichere Zeitstempel auf Blockchain-Basis anbieten, können hier Vertrauensanker in zirkulären Systemen schaffen. (Zum Zeitstempel von OriginStamp)
Herausforderungen & Grenzen
So vielversprechend der Einsatz Künstlicher Intelligenz für die Kreislaufwirtschaft auch ist: Sie ist kein Selbstläufer. Denn KI-Systeme bringen nicht nur Lösungspotenzial mit, sondern erzeugen auch neue Fragen – ökologisch, ethisch und systemisch.
Energiehunger intelligenter Systeme
Ein zentrales Problem liegt in der Energiebilanz moderner KI-Modelle. Das Training großer Sprach- oder Bilderkennungsmodelle erfordert gewaltige Rechenleistungen – und damit Strommengen, die häufig aus nicht-nachhaltigen Quellen stammen. Laut einer Studie des MIT verbrauchte das Training eines einzigen großen Sprachmodells rund 313 Tonnen CO₂ – das entspricht dem jährlichen Ausstoß von fünf durchschnittlichen Autos.
Auch der laufende Betrieb von KI-Anwendungen ist nicht unerheblich: Sensorik, Datenübertragung, Cloud-Computing – all das benötigt Infrastruktur, Rechenzentren und dauerhafte Energiezufuhr. Wenn KI also helfen soll, Stoffkreisläufe effizienter zu machen, muss auch ihre eigene Umweltwirkung konsequent mitgedacht werden.
Rebound-Effekte: Effizienz ist nicht gleich Reduktion
Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass Effizienz automatisch zu Ressourceneinsparungen führt. In der Realität können technische Verbesserungen das Gegenteil bewirken. Wenn Produkte durch KI länger halten oder günstiger hergestellt werden, steigt oft die Nachfrage – und damit der Gesamtverbrauch. Solche Rebound-Effekte untergraben die eigentlich intendierten ökologischen Einsparungen.
Die Herausforderung liegt darin, nicht nur technische Prozesse zu optimieren, sondern auch das Nutzerverhalten und die Systemlogiken im Blick zu behalten.
Bias, Black Box und Greenwashing-Risiken
KI ist nicht objektiv. Ihre Entscheidungen beruhen auf Trainingsdaten – und diese sind immer selektiv. Gerade im Kontext nachhaltiger Entscheidungen stellt sich die Frage: Wer definiert, was „nachhaltig“ ist? Und nach welchen Kriterien?
Wenn KI-Systeme auf fehlerhaften, unvollständigen oder verzerrten Datensätzen beruhen, können sie falsche Entscheidungen systematisch verstärken. Gleichzeitig bleibt vielen KI-Anwendungen die Nachvollziehbarkeit ihrer Entscheidungen verwehrt. Diese Black-Box-Problematik macht es schwer, Vertrauen aufzubauen – insbesondere wenn Nachhaltigkeitsversprechen nicht transparent belegt werden können.
Gerade im Bereich der Kreislaufwirtschaft besteht die Gefahr, dass KI als Feigenblatt für Greenwashing missbraucht wird. Umso wichtiger sind klare Standards, Offenlegungspflichten und ein ethischer Rahmen, der über die reine Technologie hinausgeht.
Recycling als Wirtschaftsfaktor: Investitionen, die sich auszahlen
Recycling ist nicht nur ein ökologisches Gebot, sondern auch ein wirtschaftlich attraktives Geschäftsfeld. Unternehmen, die frühzeitig in moderne Recyclingtechnologien investieren, profitieren von steigenden Rohstoffpreisen, regulatorischen Anreizen und einer wachsenden Nachfrage nach Sekundärmaterialien.
Ein prominentes Beispiel ist die französische Paprec-Gruppe. Das Unternehmen hat sich durch gezielte Investitionen in Recyclinganlagen und -technologien zu einem der führenden Akteure in Europa entwickelt. Im Jahr 2023 erzielte Paprec einen Umsatz von über 3 Milliarden Euro und beschäftigte rund 16.000 Mitarbeiter. Etwa 45 % des Umsatzes stammen aus dem Verkauf recycelter Materialien wie Papier, Kunststoff und Metallen. Die Preise für diese Sekundärrohstoffe variieren je nach Qualität und Marktbedingungen, können jedoch bis zu 1.000 Euro pro Tonne erreichen, insbesondere bei hochwertigen Kunststoffen wie PET. Quelle
Investitionen in Recyclingtechnologien erfordern zwar anfängliche Kapitalaufwendungen, doch die langfristigen Einsparungen und Einnahmen können diese Kosten übersteigen. Zudem tragen solche Investitionen zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen bei und stärken die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in einer zunehmend ressourcenbewussten Wirtschaft.
KI als Baustein einer zirkulären Zukunft
Künstliche Intelligenz allein wird die Kreislaufwirtschaft nicht retten – doch ohne sie wird der Wandel kaum gelingen. Die Herausforderungen, die mit ihrem Einsatz verbunden sind – Energieverbrauch, Datenbias, Intransparenz – sind real. Aber sie sind nicht unlösbar. Vielmehr machen sie deutlich, dass technologische Innovation immer auch politisch, ökologisch und gesellschaftlich eingebettet sein muss.
Was sich schon heute zeigt: KI kann dort eine entscheidende Rolle spielen, wo Komplexität bislang ein Hemmnis war. Sie hilft, Stoffströme sichtbar zu machen, Produktionsprozesse zu optimieren, Rückführungen zu erleichtern und Entscheidungen datenbasiert zu verbessern. Vor allem aber ermöglicht sie, Kreisläufe intelligenter zu gestalten – vom Design bis zur Wiederverwertung.
Künstliche Intelligenz kann ein Beschleuniger für die Kreislaufwirtschaft sein – wenn wir sie gezielt, verantwortungsvoll und systemisch einsetzen. Es geht nicht nur darum, effizienter zu recyceln, sondern intelligenter zu wirtschaften. Die Frage ist also nicht, ob KI zur Kreislaufwirtschaft passt – sondern wie wir sie so gestalten, dass sie ihr tatsächlich dient.
