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Kundenservice Mitarbeiter im Callcenter

„Künstlich. Aber höflich.“: Warum KI im Kundenservice punktet

Patricia Goeft

Sun May 04 2025

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Inhaltsverzeichnis

Warum KI im Kundenservice oft höflicher, schneller und fairer reagiert als Menschen – und wo ihre klaren Grenzen liegen.

Einer dieser typischen Abende - vielleicht kennst du es: Es ist zu spät, zu viele Tabs sind offen, der Router blinkt – das Internet war weg. Und der Hotline-Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung wirkte noch genervter als ich. Kein Verständnis, keine Hilfe, nur abgehackte Antworten.

In solchen Momenten stellt sich mir die provokante Frage: Ist ein emotionsloser Chatbot besser als ein genervter Mensch?

KI als emotionale Pufferzone im Kundenservice

In stressigen Situationen sind menschliche Support-Mitarbeitende anfällig für emotionale Reaktionen. Gereiztheit, Ungeduld oder sogar passive Aggression – das ist menschlich. Aber eben auch problematisch, besonders dann, wenn es um serviceorientierte Kundenbeziehungen geht. Hier können KI-Systeme nicht nur rund um die Uhr Informationen bereitstellen, sondern auch als "emotionale Pufferzone" fungieren. Sie reagieren nicht genervt, lassen sich nicht provozieren – und führen die Anfrage sachlich durch.

Laut einer Studie von Salesforce (2024) wünschen sich 81 % der Kund:innen sofortige Reaktionen auf ihre Anfragen. Genau hier glänzt KI. Sie antwortet in Sekunden und bleibt dabei durchgehend sachlich. Wenn Kund:innen gestresst oder frustriert sind, kann das einen deeskalierenden Effekt haben. KI kann zudem durch Sentiment-Analysen und Spracherkennung angemessen auf Ärger reagieren.

Vorteile die KI im Kundeservice bietet

Der innovative Twist: KI schützt beide Seiten

Ein oft übersehener Aspekt: KI schützt nicht nur Unternehmen vor "schwierigen Kunden", sondern auch Kund:innen vor schwierigen Mitarbeitenden. Das ist kein Angriff auf die Belegschaft, sondern eine realistische Einschätzung der Belastung im First-Level-Support. Wo emotionale Ausfälle Schaden anrichten können, fungiert KI als diplomatischer Vermittler. Höflich, faktenbasiert, gelassen.

Eine neue Erwartungshaltung an Kundenbeziehungen - Vorteile der KI

Unsere Erwartungen an den Kundenservice haben sich verändert. Die digitale Generation will nicht in Warteschleifen hängen, sondern sofort Antworten erhalten. Gleichzeitig erwarten wir eine persönliche, verständnisvolle Kommunikation. Ein Widerspruch? Vielleicht nicht, wenn man die Vorteile generativer KI betrachtet:

  • Geduld ohne Grenzen: KI wird nicht müde oder unhöflich – auch nicht beim fünften Rückfragezyklus.

  • Gleichbleibende Qualität: Die Reaktion hängt nicht vom Tageszustand ab.

  • Entlastung menschlicher Mitarbeitender: Diese können sich auf komplexere Fälle konzentrieren, in denen Empathie und Urteilsvermögen gefragt sind.

Die aktuelle Studie von Salesforce zeigt, dass 68 % der Service-Fachkräfte weltweit generative KI bereits als Unterstützung verwenden – vor allem, um repetitive Aufgaben zu automatisieren und ihre Servicequalität zu verbessern.

KI im Kundenservice bezieht sich häufig auf Chatbots. Diese kommen meist in Bereichen mit hohem Anfragevolumen und standardisierbaren Prozessen zum Einsatz. Etwa bei der Sendungsverfolgung, Passwortzurücksetzung oder der Terminvereinbarung. Gerade in diesen Momenten entscheidet oft Geschwindigkeit – und nicht menschliche Empathie – über die wahrgenommene Servicequalität.

Auch eine Kollegin berichtete mir kürzlich: "Ich diskutiere lieber mit einem Bot, der nicht schnippisch wird, als mit einem genervten Support-Mitarbeiter."

Chatbot-Training im Kundenservice

Damit Chatbots im Kundenservice funktionieren, müssen sie mit realitätsnahen Dialogbeispielen trainiert werden – sogenannten Trainingsdaten. Diese stammen meist aus echten Kundenanfragen, internen FAQ-Datenbanken oder bestehenden Support-Transkripten. Das Modell lernt dabei typische Formulierungen, Anliegen und passende Reaktionsmuster. Um eine akzeptable Qualität zu erreichen, sind regelmässig Nachjustierungen nötig – insbesondere durch menschliches Feedback ("Human-in-the-Loop"), gezieltes "Fine-Tuning" und Testszenarien. Nur so wird gewährleistet, dass ein Chatbot nicht nur schnell antwortet, sondern auch wirklich versteht, worum es geht.

Unser Schweizer Partner Nairon zeigt eindrucksvoll, wie moderne Voicebots entwickelt und trainiert werden können: Es nutzt realsprachliche Konversationsdaten aus dem Kundenservice, um Chatbots gezielt auf branchenspezifische Anwendungsfälle zu trainieren – beispielsweise im E-Commerce oder Versicherungsbereich. Dabei werden nicht nur häufige Fragen trainiert, sondern auch typische Stolperfallen im Ton sowie Tonlagen bestimmter Emotionen berücksichtigt, um eine möglichst menschlich wirkende Interaktion zu gewährleisten. Sogar Dialekte werden hier der KI beigebracht, um auf alle Kunden und deren Bedürfnisse bestmöglich einzugehen.

Aber: Nicht jeder Chatbot ist gleich gut

So beeindruckend KI im Kundenservice auch sein kann – sie ist kein Selbstläufer. Wer glaubt, dass ein Chatbot immer reibungslos funktioniert, irrt sich. Denn: Ein schlecht implementierter und unzureichend trainierter Bot birgt ein enormes Risiko.

Besonders kritisch wird es, wenn ein Chatbot nicht nur scheitert – sondern Fehlberatungen liefert oder sogar ungewollt eskaliert.

So berichtete das Handelsblatt, dass der Chatbot eines Energieversorgers einem Kunden riet, die Stromzufuhr selbst zu unterbrechen – ein gefährlicher und falscher Hinweis.

Oder der Chatbot eines Telekommunikationsunternehmens, der auf eine harmlose Kundenanfrage mit unhöflichen und sarkastischen Kommentaren reagierte. Statt zu helfen, provozierte der Bot mit Aussagen wie „Vielleicht lesen Sie die Rechnung erst einmal richtig“ – und verweigerte weitere Unterstützung.

Wo die Grenzen heutiger KI im Kundenservice liegen

Zudem stellt sich die Frage nach der Verantwortung: Wer haftet, wenn ein Chatbot falsch berät oder unhöflich reagiert? Letztlich liegt die Verantwortung immer beim Unternehmen – auch dann, wenn die Ursache im Systemverhalten liegt. eRecht24, 2025

Auch wenn generative KI immer besser wird – sie hat klare Schwächen, die im direkten Kundenkontakt zum Problem werden können:

  1. Begrenzter Anwendungsbereich: Chatbots eignen sich meist nur für häufige, standardisierte Anfragen (z. B. Lieferstatus, Passwort zurücksetzen). Sobald es nicht mehr um den "Lieferstatus", sondern um komplexe Probleme geht, geraten viele Bots ins Schwimmen.

  2. Kontextblindheit bei komplexen Anfragen: Was wie ein „Verstehen“ wirkt, ist oft nur statistische Mustererkennung. So kann ein Bot möglicherweise eine Rückfrage zur Versandadresse nicht korrekt zuordnen, weil das Wort "Adresse" mehrfach in unterschiedlichen Kontexten vorkam.

  3. Fehlende Empathie-Simulation: Emotionale Zwischentöne wie Ironie oder Verzweiflung bleiben unerkannt. Beispielsweise kann eine sarkastische Beschwerde über eine defekte Lieferung als positive Rückmeldung interpretiert – mit entsprechend unpassender Antwort.

  4. Fehlende Selbstkorrektur: Ein Bot, der in eine falsche Antwortlogik gerät, findet selten selbstständig zurück. Ein Beispiel: Eine simple Frage führt zu einer Schleife technischer Supportantworten, weil der Bot sie mit einer Fehlermeldung verwechselte – ein Ausstieg aus der Situation war nicht vorgesehen.

  5. Sprachliche Barrieren bei Dialekten: Regionale Ausdrucksweisen oder Umgangssprache führen häufig zu Missverständnissen. Süddeutsche Begriffe wie „a bissl“ oder „fei“ konnten von der KI-Hotline nicht korrekt interpretiert werden, was zu wiederholten Rückfragen und erhöhter Frustration führte.

  6. Datenschutz und sensible Informationen: Viele KI-Systeme speichern oder verarbeiten Kundendaten in der Cloud – was datenschutzrechtlich heikel ist. Ohne explizite Einwilligung oder klare Governance-Regeln drohen Verstösse gegen die DSGVO oder das Schweizer Datenschutzgesetz.

Warum KI der höflichere Kundenberater ist

Trotz aller Limitationen und weniger Ausnahmefälle zeigt sich: In puncto Höflichkeit, Geduld und Gleichbehandlung hat KI klare Vorteile gegenüber dem Menschen. Während menschliche Mitarbeitende in stressigen Situationen gereizt oder ungeduldig reagieren können, bleibt KI im Regelfall sachlich – unabhängig von Tagesform, Stimmung oder Gesprächsverlauf. Sie unterbricht nicht, lässt sich nicht provozieren und behandelt jede Anfrage mit gleichbleibender Professionalität. Diese konsistente Freundlichkeit mag emotionslos wirken – sie sorgt aber oft für ein reibungsloseres und faireres Service-Erlebnis. Gerade in Momenten, in denen sich Menschen unverstanden oder nicht ernst genommen fühlen, kann KI eine wohltuende emotionale Pufferzone bieten.

Zitatbild über Kundenservice: Haltung zählt mehr als Technik – bei Mensch und Maschine

Jetzt sind Sie dran

Starten Sie mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme: Wo entlastet KI heute schon Ihre Mitarbeitenden – und wo liegen die Schwächen ihrer Kundenservice-KI?

Mein persönliches Fazit

Ich war anfangs skeptisch, als ich zum ersten Mal mit einem KI-Chatbot interagiert habe. Heute bin ich ehrlich überrascht, wie höflich, effizient und hilfreich viele dieser Systeme bereits agieren. Besonders für Standardanfragen bieten sie mit ihrem 24/7-Service echten Mehrwert. Zwar greife ich bei komplexeren Anliegen noch gerne zum Telefon und schätze den Austausch mit einer echten Person – aber ich bin überzeugt: Die Zeit, in der ich mich auch bei schwierigeren Fragen vertrauensvoll an eine KI wenden werde, ist nicht mehr fern. Denn eins ist sicher: In vielen Fällen ist ein emotionsloser Chatbot nicht nur besser als ein genervter Mensch, sondern auch verlässlicher

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