
Cyber-physische Systeme erklärt: Echtzeit-Entscheidungen für die Industrie
Benedict Breitenbach
Wed Jun 11 2025

Inhaltsverzeichnis
Ein Logistikzentrum erhält den Hinweis: Ein zentraler Zulieferer wird wegen Starkregen nicht rechtzeitig liefern können. Doch statt dass der Betrieb ins Stocken gerät, reagiert das System selbstständig. Es analysiert Alternativrouten, prüft Lagerbestände in Echtzeit, passt die Produktionsplanung dynamisch an – und steuert die Kommissionierung entsprechend um. Kein hektisches Eingreifen, keine E-Mails, kein Krisenmeeting. Nur ein Netzwerk aus Sensoren, Software und physischer Handlungskraft genannt Cyber-physische Systeme, kurz CPS.
CPS machen Unternehmen reaktionsfähig in einer unplanbaren Welt – nicht durch Automatisierung im klassischen Sinn, sondern durch ein Zusammenspiel aus Datenintelligenz und unmittelbarem Eingreifen.
Was ist ein Cyber-physisches System?
Cyber-physische Systeme (CPS) sind vernetzte, intelligente Systeme, die in der Lage sind, digitale Informationen in physisches Handeln zu übersetzen – und umgekehrt. Sie bestehen aus Sensoren, Aktoren, eingebetteten Recheneinheiten und Kommunikationsschnittstellen. Ihr entscheidendes Merkmal: Sie operieren autonom in Echtzeit, treffen Entscheidungen auf Basis von Daten und setzen diese Entscheidungen direkt in die physische Welt um.
Vom Datensammler zum Entscheider
Wo klassische Systeme lediglich Informationen erfassen oder Befehle ausführen, sind CPS darauf ausgelegt, den gesamten Kreislauf zu übernehmen:
- Wahrnehmen (z. B. Umwelt-, Maschinen- oder Prozessdaten erfassen)
- Verstehen (durch Echtzeitanalyse, Mustererkennung oder KI-gestützte Auswertung)
- Entscheiden (autonom auf Basis von Regeln, Modellen oder Lernprozessen)
- Handeln (Steuerung physischer Prozesse, Anpassung von Abläufen oder Interaktion mit anderen Systemen)

Diese vier Phasen laufen in einem permanenten Feedback-Zyklus ab – oft im Millisekundenbereich – und machen CPS zu einem lebendigen Bindeglied zwischen IT und OT (Operational Technology).
Wie CPS sich von anderen Technologien unterscheiden
Es gibt viele Begriffe, die in diesem Zusammenhang verwendet werden – IoT, Automatisierung, eingebettete Systeme. Doch Cyber-physische Systeme unterscheiden sich in einem zentralen Punkt: Sie vereinen Rechenleistung, Kommunikation und mechanische Wirkung in einem geschlossenen, intelligenten System.
Technologie | Funktion | Reaktion | Autonomiegrad |
---|---|---|---|
IoT-Gerät | Daten erfassen & übertragen | passiv | gering |
Automatisierungssystem | Wiederholbare Steuerung | reaktiv | mittel |
CPS | Analyse + Entscheidung + Aktion | proaktiv | hoch |
Ein autonomes Transportsystem im Lager ist kein IoT-Gadget – es ist ein CPS: Es plant, weicht aus, priorisiert Aufträge und agiert im Verbund mit anderen Systemen. Ohne menschliche Steuerung. Ohne Skripting. Mit Lernfähigkeit.
Das Herzstück: Echtzeit und Vernetzung
CPS entfalten ihren vollen Nutzen nur im Zusammenspiel. Sie kommunizieren über industrielle Netzwerke, Cloud-Plattformen oder Edge-Systeme miteinander, tauschen Kontextinformationen aus und bilden kollektive Entscheidungsstrukturen. So entstehen intelligente Fertigungsinseln, resiliente Liefernetzwerke oder adaptive Gebäudesysteme – in denen jede Komponente nicht nur "funktioniert", sondern "mitdenkt".
